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Konflikte und Lösungsansätze

Das Zusammenspiel der verschiedenen Rechtsbereiche und ihre Auswirkungen auf die Just Culture sind komplex. Ein effektives Sicherheitsmanagementsystem betrifft verschiedene Rechtsgebiete. Um eine Just Culture einzuführen, ist ihre Wechselwirkung zu berücksichtigen. Die Hauptkonflikte sind in zwei Rechtsbereichen zu beobachten.

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Konflikte in verschiedenen Rechtsbereichen

 

Die Konflikte zwischen den Prinzipien der Just Culture in der Schweizer Luftfahrt und der Rechtsordnung in der Schweiz treten im Wesentlichen in zwei Bereichen auf: einerseits im Strafrecht (Bestrafung Einzelner) und andererseits im öffentlichen Recht (Zusammenwirken von Sicherheits- und Strafuntersuchung).

Im Strafrecht

Die Systeme in der Luftfahrt sind heute so komplex, dass ein Vorfall nicht auf eine einzige Handlung, Ursache oder Person zurückzuführen ist. Werden Einzelne für Handlungen, die weder grobfahrlässig noch vorsätzlich erfolgen, strafrechtlich verfolgt, so schwächt dies die Meldekultur und dadurch die Möglichkeiten einer Organisation, Schwachstellen zu erkennen und Anpassungen vorzunehmen.

 

Mit der Verurteilung eines Einzelnen im System verhindern wir nicht, dass genau der gleiche Vorfall einer anderen Person wieder passiert.  

Im öffentlichen Recht

Die Ergebnisse der Sicherheitsuntersuchung wurden in den erwähnten Vorfällen im Nachhinein zweckentfremdet und zur Strafverfolgung benutzt. Hier fragt sich, welche Art staatlicher Aufsicht zur Verbesserung der Sicherheit in diesem Kontext eingesetzt werden kann.

 

Für eine nachhaltige Just Culture ist die Trennung von Sicherheitsuntersuchungen und Strafuntersuchungen unabdingbar. 

Unsere Lösungsansätze​

Im Dialog mit VertreterInnen der Justiz, Politik, und Wissenschaft setzen wir uns für eine fachgerechte und abgestimmte Umsetzung einer besseren Akzeptanz und Integration der Just Culture in der Schweiz ein. Dieser Dialog geht über die Landesgrenzen hinaus.
 

Dialog mit RechtsexpertInnen

Die Europäische Flugsicherungsorganisation EUROCONTROL hat eine Just Culture Task Force (JCTF) für die Entwicklungen in diesem wichtigen Sicherheitsbereich eingesetzt. Seit 2007 setzt sich die JCTF mit rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Sicherheit und Justiz auseinander, um den Dialog zwischen Sicherheits- und RechtsexpertInnen zu fördern und relevante Leitfäden und Richtlinien zu entwickeln. Die JCTF besteht aus SicherheitsexpertInnen und JuristInnen aus den Bereichen Luftfahrt, Bahnverkehr und Hochseeschifffahrt. 
 

Konkret wurde in diesem Rahmen bereits vor einigen Jahren ein spezifisches Schulungsprogramm entwickelt. Ziel ist, das Verständnis der Just Culture (Lernen aus Vorfällen) bzw. der Komplexität in der Luftfahrt und auch der Vorgaben der Justiz (Befolgen von Gesetzen, Ermitteln bei Verstössen) zu fördern. Wir sind von diesem Ansatz überzeugt und werden ihn weiter verfolgen.
 

Dialog mit PolitikerInnen
Siehe politische Vorstösse


Dialog mit wissenschaftlichen ExpertInnenWir streben einen Wissensaustausch mit verschiedenen Hochschulen an. Eine wissenschaftliche Studie soll zudem die Grundlagen für eine ganzheitliche und genauere Beurteilung der Konfliktpunkte liefern. Diese Studie wird praxisnah in Zusammenarbeit mit den Fachhochschulen Nordwestschweiz (FHNW) und Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) durchgeführt.

Erläuterungen zu den Konflikten

1. Konflikte im Strafrecht

Fahrlässigkeit und Grobfahrlässigkeit

Das Strafrecht unterscheidet nicht explizit zwischen Fahrlässigkeit und Grobfahrlässigkeit (Art. 12 Abs. 3 StGB); der Grad der Fahrlässigkeit kommt jeweils erst im Strafmass zum Zug. Just Culture hingegen entschuldigt einfache Fahrlässigkeit und sanktioniert Grobfahrlässigkeit. Dies im Hinblick darauf, dass eine einfache Unterlassung oder Handlung, welche zu einem Arbeitsfehler führt, als Teil des Systems gesehen wird. Je resilienter das System, desto mehr vermag es Arbeitsfehler aufzufangen. Der Grundsatz, dass einfache Fahrlässigkeit im Rahmen von Just Culture akzeptiert wird, bildet die Grundlage für systemisches Lernen. 
Das Strafgesetz hingegen qualifiziert bereits einfache Fahrlässigkeit bzw. Sorgfaltspflichtverletzung als strafbare Handlung oder Unterlassung. Dies führt zum Ungleichgewicht zwischen der Anwendung von Just Culture in der Aviatikindustrie als Grundlage des organisationalen Lernens und der strikteren Auslegung im Strafrecht.

 

Fahrlässige Störung des öffentlichen Verkehrs

Im Jahr 2019 wurden zwei Strafverfahren gegen Fluglotsen wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237 i.V.m Abs. 2 StGB) per Bundesgerichtsentscheid abgeschlossen. 


Art. 237 Störung des öffentlichen Verkehrs
1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser oder in der Luft hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
Bringt der Täter dadurch wissentlich Leib und Leben vieler Menschen in Gefahr, so kann auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren erkannt werden.
2. Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.


Im ersten Fall wurde die Verurteilung des Bundesstrafgerichts durch das Bundesgericht gegen den diensthabenden Fluglotsen bestätigt (6B_1220/2018). Im anderen Fall wurde der Fluglotse hingegen freigesprochen, weil das Bundesgericht keine konkrete Gefährdung oder Störung des öffentlichen Flugverkehrs erkannte (6B_332/2019) sowie festhielt, dass keine Verurteilung basierend auf Hypothesen erfolgen könne.

Strafverfahren basierend auf Sicherheitsuntersuchung eröffnet

 

Beide Strafverfahren wurden aufgrund der Resultate der Sicherheitsuntersuchung durch die SUST eröffnet. Diese wiederum basieren auf den Meldungen der beteiligten Flugverkehrsleiter. Des Weiteren verschärfen beide Entscheide eine bestehende Problematik einer Aufsicht, welche "Compliance-basiert" ist: Die Meldung solcher und anderer Vorfälle ist im Sinne der Just Culture und des organisationalen Lernens essentiell, wobei aber die mögliche Strafverfolgung solche Meldungen in Zukunft zu behindern droht. 
 

2. Konflikte im Öffentlichen Recht

Typischerweise geben Gesetz- und Verordnungsgeber eine Aufsicht vor. Gerade in risikoreichen Industrien werden auch Sicherheitssystem und -organisation kontrolliert (vgl. EKAS Richtlinie Nr. 6508). Der Compliance-basierte Ansatz wird damit in der Praxis bis zu einem gewissen Grad relativiert, da die Behörden sich in vielen Bereichen auf Sicherheitsnachweise der Beaufsichtigten selber stützten und dabei private Standards oder Branchenvereinbarungen zugrunde legen. 

Im Bereich des öffentlichen Rechts stellt sich somit die Hauptfrage, mit welcher Art der staatlichen Aufsicht sich die Sicherheit in diesem Kontext umsetzen lässt und wie eine solche Aufsicht auszugestalten ist, so dass eine Just Culture durch den rechtlichen Umgang mit sicherheitsrelevanten gemeldeten Ereignissen gefördert und nicht unterlaufen wird. 

Dies ist nicht nur eine nationale Frage, sondern im Kontext der globalen Aviatik auch Thema im international geltenden Öffentlichen Recht: 
-    International Civil Aviation Organisation (ICAO) mit den Anhängen 13 und 19
-    EC Regulation 376/2014 (Verordnung (EU) Nr. 376/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Meldung, Analyse und Weiterverfolgung von Ereignissen in der Zivilluftfahrt)
-    EC Regulation 996/2010 (Verordnung (EU) Nr. 996/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über die Untersuchung und Verhütung von Unfällen und Störungen in der Zivilluftfahrt) sowie deren Interpretation in der Übernahme in nationales Recht.

Sowohl auf ICAO als auch auf Europäischer Ebene ist eine Trennung zwischen Sicherheits- und Strafuntersuchung vorgesehen und gesetzlich verankert. Das Rahmengesetz ist das Bundesgesetz vom 21. Dezember 1948 über die Zivilluftfahrt (LFG; SR 748.0). Es wird in der Verordnung vom 14. November 1973 über die Luftfahrt (LFV; SR 748.01) sowie in verschiedenen anderen Verordnungen umgesetzt. Das internationale Recht übersteuert das nationale Recht.

Die Schweiz hat diesbezüglich die internationalen Regulationen nur teilweise umgesetzt. Im LFG (SR 748.0) sowie in der VSZV (SR 742.161) ist die Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungs- und Sicherheitsuntersuchungsbehörden explizit vorgesehen. Die erwähnten Urteile basieren mehrheitlich auf den Untersuchungsberichten sowie dazugehörenden Akten der Sicherheitsuntersuchung. Die internationale Gesetzgebung, im Speziellen die Regulation 996/2010 sowie der ICAO Anhang 13 verlangen einen sogenannten Balance Check, bei welchem eine Güterabwägung zwischen Erhöhung der Sicherheit und dem öffentlichen Interesse nach Strafverfolgung stattfindet. 

Daten und Informationen, welche für die Erhöhung der Sicherheit bereitgestellt wurden (im Sinne von nemo tenetur), werden im Nachhinein zweckentfremdet und zur Strafverfolgung benutzt. Dass eine Auskunftsperson die Weitergabe ihrer Aussage an die Strafbehörden verhindern kann (Art. 24 VSZV), bietet nur einen oberflächlichen Schutz. Die Aussagen fliessen in den Schlussbericht ein, welcher dem Gericht als Beweismittel zur Verfügung steht. Des Weiteren fallen Daten und Informationen, die von Organisationen zugänglich gemacht werden, nicht unter den Schutz von Art. 24 VSZV. 

In den Niederlanden hat der Generalstaatsanwalt eine Instruktion erlassen, die eine Koordination und Kooperation zwischen der Strafverfolgungsbehörde und der Luftfahrtindustrie (Flugsicherung, Flughafen Amsterdam, Airline KLM) zulässt. Vorfälle werden gemeinsam besprochen und auf ihre Notwendigkeit zur Strafverfolgung geprüft. Just Culture ist hier ein Element, das beim Entscheid zur Verfahrenseröffnung mit einbezogen wird. Die Autorität der Staatsanwaltschaft wird dabei in keinster Weise untergraben, bleibt doch die Entscheidung, ob ein Verfahren eröffnet wird, alleine bei ihr. Link zur Instruktion des Generalstaatsanwaltes (Englisch):

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